Der Stand der Forschung

Anfang 2023 bestand vor allem in Bezug auf die Erforschung von Erfolgsfaktoren und Hemmnissen großer Forschungsbedarf. Den Stand der Forschung im März 2023 zeigt der nachfolgende Text auf (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Jändl et al. (2019) attestieren in ihrer „Machbarkeitsstudie: 30% Ökolandbau in Bayern im Jahr 2030“ der Bildung von Bio-Wertschöpfungsketten sowohl im Bereich der Tier- und Fleischproduktion, aber auch in der Pflanzenproduktion einen hohen Entwicklungsbedarf. Dieser Bedarf wurde politisch in Deutschland beispielsweise in der im Jahr 2017 veröffentlichten "Zukunftsstrategie ökologischer Landbau (ZöL)" berücksichtigt, indem die Entwicklung von Bio-Wertschöpfungsketten als eine Maßnahme des zentralen Handlungsfelds ‚Marktentwicklung‘ adressiert wurde (Sanders et al. 2020). Bio-Wertschöpfungsketten als Motor für die Entwicklung des ökologischen Landbaus wurden in einer Reihe von Bundesländern eingeführt. In Bayern beispielsweise 2012 mit der Agenda ‚BioRegio Bayern 2020‘. Eine Zwischenbilanz in Bayern konnte bereits 2018 zeigen, wie die gebildeten Modellregionen zur Steigerung des Öko-Landbaus und der Vernetzung der Akteure von Produktion, Handel und Dienstleistung beigetragen haben (Novak und Wiesinger 2018).

Im europäischen Ausland wird durch die Einrichtung zentraler und dezentraler Koordinierungsstellen wie in den Ökomodellregionen der Aufbau von Bio-Wertschöpfungsketten unterstützt, bspw. in Dänemark und Frankreich seit 2001 durch die staatliche Institution Agence Bio18, die unter anderem die Aufgabe hat, den Aufbau regionaler Bio-Wertschöpfungsketten zu koordinieren (Hanke 2021).

Die deutschen Ökomodell- bzw. Bio-Musterregionen sind nicht als flächendeckende Unterstützung des ökologischen Landbaus implementiert, sondern sind ‚Leuchtturmprojekte‘, die in anderen Regionen Nachahmer finden sollen (ebenda). Dementsprechend werden Ökomodellregionen auch auf Erfolgsfaktoren und Hemmnisse hin untersucht und wissenschaftlich begleitet (Hautzinger 2020, Sauer et al. 2019). Grundsätzlich zeigen Braun et. al. (2021), dass sich Wertschöpfungsketten in regionalen Marktgegebenheiten, den Möglichkeiten der beteiligten Unternehmen und der Art der hergestellten Produkte unterscheiden. Teuber & Jensen (2021) finden in ihrer Studie bio-regionaler Netzwerke in Dänemark ähnliche Befunde. Diese Unterschiede lassen sich laut Midmore et al (2002) bei bio-regionalen Netzwerken auf regionale Unterschiede bzgl. den Faktorausstattungen, den Vermarktungsbedingungen, den institutionellen Kontexten und auch auf unterschiedliche Managementkompetenzen der Netzwerkakteure zurückführen. Der Begriff der Wertschöpfungsnetzwerke wird hierbei als Synonym für den in der Literatur häufig gefundenen Begriff Wertschöpfungskette verwendet. Damit wird der besonderen Relevanz der Netzwerkbildung auf den einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette besser Rechnung getragen, als dies der Begriff Wertschöpfungskette tut (Lazzarini et al. 2001).

Hautzinger hat in einem qualitativen Ansatz Projekte und Initiativen in sechs südlichen Öko-Modellregionen Bayerns analysiert (Hautzinger 2020). Dabei konnte gezeigt werden, dass Öko-Modellregionen ein wirksames Instrument zur Stärkung der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft sind. Braun et. al. (2021) stellt weiterhin fest, dass der Aufbau einer Wertschöpfungskette ein sozialer Prozess ist, in dem Akteure unterschiedlicher Unternehmen ihre jeweiligen Interessen und Ziele im Sinne interorganisationaler Kooperation zusammenbringen müssen (Huxham und Vangen 2005; Schruijer 2020). Diese Kooperationsprozesse bergen ein hohes Maß an Komplexität und Unklarheit, da sie gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen stattfinden – zwischen Personen, innerhalb einzelner Unternehmen und zwischen den Unternehmen der Wertschöpfungskette. Erschwert werden können solche Prozesse durch das Fehlen formaler Strukturen, da sich innerhalb der entstehenden Kooperation noch Zuständigkeiten, Rollen und Regeln ausbilden müssen (Huxam und Vangen 2005). Dem entsprechend hat das soft capital bzw. Sozialkapital im Sinne von zwischenmenschlichen Beziehungen, Vertrauen und gemeinsamen Werten eine hohe Bedeutung für das Funktionieren von Wertschöpfungsketten (Dalgaard et al. 2003, Hautzinger 2020). Nach Putnam bezieht sich Sozialkapital auf Merkmale sozialer Organisation wie Netzwerke, Normen und soziales Vertrauen, durch die die Koordination und Kooperation zum gegenseitigen Nutzen erleichtert wird (Putnam 1995; Coleman 1990). Das soziale Kapital resultiert aus Interaktionen zwischen verschiedenen Akteuren und bietet sowohl individuellen als auch korporativen Akteuren mehr Handlungsmöglichkeiten (Jansen 2006: 26). Dies mündet laut einer Studie von Orsini et al. (2020) wiederum in einer höheren Verhandlungsmacht gegenüber dem Handel. Das soziale Kapital bio-regionaler Wertschöpfungsnetzwerke resultiert also auch in einer höheren Wertschöpfung der beteiligten Akteure. Dieses abgestimmte Verhalten beinhaltet auch sich selbst verstärkende Entwicklungspfade, indem z.B. in gemeinsame Regio-Labels oder exklusive Vermarktungszugänge investiert wird (Koreleska et al. 2017, Baron et al. 2019).

Als zentral haben sich im Aufbau und der Steuerung von bio-regionalen Wertschöpfungsnetzwerken Projektmanager*innen gezeigt, „die in den Regionen Netzwerke bilden, Prozesse in Gang setzen, Veranstaltungen und Exkursionen organisieren und dazu beitragen, dass die Anonymität zwischen Akteur*innen aufgehoben wird“ (Hautzinger 2020). Ähnlich konnte in einer Studie aus Baden-Württemberg eine mangelnde Vernetzung zwischen den Wirtschaftsakteur*innen während des Projektverlaufs als Hemmnis für eine zusätzliche Wertschöpfung, Transparenz, Kosteneinsparung und Resilienz identifiziert werden (Gider et al. 2021). Über den Vermarktungsaspekt hinaus ermöglicht die regionale Vernetzung auch den allgemeinen Informationsfluss, das Konstituieren von effizienten Interessensgruppen, das Definieren sektoraler Strategien und die Formulierung von Bedarfen (z. B. Richtlinien, öffentliche Unterstützung, Marktforschung etc.). Eine andere wichtige Funktion ist die gegenseitige Unterstützung der Mitglieder im Netzwerk (ebenda)

Neue Entwicklungen bio-regionaler Netzwerke lassen sich in einer stärkeren Stadt-Land Verknüpfung erkennen (Dörnberg et al. 2016), wie sie in Deutschland z.B. unter dem Konzept der Biostädte (Biostädte 2023) propagiert werden. Erste Evaluationen solcher Initiativen im europäischen Ausland sind positiv. Allerdings sind auch hier noch viele Optimierungspotentiale offen (Schleifer et al. 2022). Im Rahmen der Zukunftsstrategie ökologischer Landbau hat das BMEL zusammen mit Vertretern aus Wissenschaft und Praxis, Kompetenzteams berufen, welche zu ausgewählten Themenschwerpunkten Vorschläge erarbeiten sollen. Ein Kompetenzteam nimmt beispielsweise Fragestellungen rund um die Stärkung der Bio-Wertschöpfungsketten in den Blick, ein anderes adressiert berufliche Bildungs- und Weiterbildungsbedarfe entlang der Wertschöpfungskette (BMEL 2023). Auch an der HSWT werden regionale Wertschöpfungsketten in aktuellen Forschungsprojekten untersucht, bei denen es um die Beschreibung und Transparenzmachung von kurzen Wertschöpfungsketten im Ökolandbau in Bayern (HSWT 2023 a) oder die Einsatzmöglichkeiten der Digitalisierung im Rahmen der Regionalentwicklung geht (HSWT 2023b).

Zusammenfassend zeigt die Literatur, dass

  • Bio-Wertschöpfungsketten ein wesentlicher Motor für die Entwicklung der ökologischen Produktion und Lebensmittelwirtschaft sind

  • darüber hinaus aber auch eine Reihe weiterer positiver Aspekte für die Akteure in der Region und die Region insgesamt durch Bio-Wertschöpfungsketten entstehen (Bachinger und Pechlaner 2011; Emery und Flora 2006)

  • Die Rahmenbedingungen wesentlichen Einfluss auf die Möglichkeiten der Bio-Wertschöpfungsketten ausüben, dies aber noch nicht hinreichend analysiert ist

  • der Netzwerkbildung und -pflege und dem dabei entstehenden Sozialen Kapital eine wesentliche Rolle beim Erfolg von Bio-Wertschöpfungsketten zukommt.